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Musiktheorie Ursprünge - Druckversion

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RE: Musiktheorie Ursprünge - cat - 04-03-2004

da werd ich gleich noch philosophischer und frag mal:
wann wurde festgelegt, welche frequenz der kammerton hat und warum wurde ausgerechnet diese frequenz gewählt? soviel ich weiß ist das ja sogar öfter geändert worden

mfg cat
--
Musik ist die Melodie, zu der die Welt der Text ist.
Arthur Schopenhauer (1788-1860),


- gitwork - 04-03-2004

@Vauge... sorry ich wollte eigentlich nur ein kleines Statement abgeben aber irgenwie ist das bei diesem Thema etwas schwierig...

Ein paar Gedanken zur Geschichte unseres Tonsystems

Ähnlich einer mittelalterlichen Stadt ist der Bauplan mit dem wir uns Musik erklären ein gewachsenes Durcheinander. Er ist nicht am Reissbrett erfunden worden.

Die älteste und auf der ganzen Welt (vor allem in ganz Asien) bis Heute mit Abstand populärste Tonleiter ist

- jawoll unsere gute alte Pentatonik!

Tonleitern mit 7 Tönen (Heptatonik) zu denen ja die Dur-Tonleiter gehört, sind im alten Griechenland entstanden und bilden Heute die Grundlage unseres abendländischen Tonsystems. Dabei war die Dur-Tonleiter (ionisch) aber zunächst keineswegs die gebräuchlichste. Dorisch, Lydisch und Mixolydisch waren bei den Griechen viel populärer. genauere Infos dazu hier
Der \"Siegeszug\" der Dur/moll Tonleiter begann erst im 17.Jahrhundert

Pytagoras war der erste \"moderne\" Musiktheoretiker. Er untersuchte die Schwingung einer Saite auf dem Monochord und entdeckte den grossen Stolperstein im System, das sg. \"Pytagoreische Komma\". Ein echtes Paradoxon: versucht man den physikalischen Gesetzen folgend, durch fortlaufende Teilung der Saite in reine Quinten ein Tonsytem aufzubauen, kommt man nicht wie zu erwarten wäre nach 12 Quinten in einen geschlossenen Kreis. Man erreicht nach dem Durchlaufen aller 12 Quinten einen Ton, der dem Grundton nur sehr ähnlich ist, jedoch nicht entspricht. Der Unterschied beträgt 129,75 : 128

Das klingt jetzt seehr theoretisch, jeder von uns kennt aber den Effekt. Wenn wir beim Stimmen solange schrauben bis der E-Dur Akkord perfekt stimmt, und dann C-Dur spielen stellen wir fest, dass die G- Saite fürchterlich verstimmt klingt.

Jahrhunderte lang probierte man alle möglichen Tricks um mit diesem \"Fehler\" umzugehen. Lautenspieler verschoben z.B ihre Bünde je nach Tonart hin und her... es wurden Tastaturen mit geteilten schwarzen Tasten erfunden, Verbote für bestimmte Intervalle ausgesprochen und und und

Die Notation auf fünf Linien, geht auf Guido von Arezzo zu Beginn des 11. Jahrhunderts zurück. Sie entspricht im Grunde den weissen Tasten auf dem Klavier. Warum das C eine so zentrale Bedeutung bekam kann ich nur vermuten. Ein Hinweis könnten Stimmumfänge der wichtigsten Vokalstimmen (Sopran, Tenor) sein:

c’ - a’’ Sopran
a - f’’ Mezzosopran
g - c’’ Alt/Altus
c - a’ Tenor
G - g’ Bariton
E - e’ Bass

Die Tastatur des modernen Klaviers reicht vom Subkontra-A bis zum c’’’’’. In der Mitte der Tastatur, vor den zwei schwarzen Tasten über dem Schlüsselloch, befindet sich c’.

Der Kammerton a´, wird auf internationalen Stimmtonkonferenzen festgelegt und hat sich im laufe der Zeit von 430Hz auf 440Hz nach oben entwickelt.

Die Teilung der Oktave in 12 gleiche Tonabstände ist in der Musikgeschichte vergleichsweise eine moderne Erfindung und geht auf Andreas Werckmeister (1645-1706) zurück. J.S. Bach (he is the real godfather of music Wink ) schuf mit seinem wohltemperierten Klavier zum ersten Mal ein komplettes Werk in allen 12 Dur und moll Tonarten.

...
grüsse
gitwork


- levthan - 04-03-2004

@gitwork:
wow... woher weißt du des alles??? hast du sowas studiert?
--
mAnchMal sItze icH nur dA uNd denKe naCh...


- cat - 04-03-2004

@gitwork

wow, danke für die tolle erklärung!Respekt
--
Musik ist die Melodie, zu der die Welt der Text ist.
Arthur Schopenhauer (1788-1860),


- sohoert - 04-03-2004

@ vauge

vielleicht ist es ja auf deutschen Mist gewachsen vom C auszugehen (dann stimmt die Reihenfolge wieder mit dem Alphabet überein), um zu kaschieren, dass es einer der ihren war, der so blöd war aus einem B ein H zu lesen. Wink

gruß sila


- sohoert - 06-03-2004

@ cat
mich hat dein warum wurde ausgerechnet diese Frequenz als Kammerton festgelegt nicht losgelassen und ich habe Vermutungen angestellt wie: kann der Mensch vielleicht grade diese Frequenz am besten/reinsten wahrnehmen?! Leider hab ich nirgens eine Bestätigung/Antwort erhalten.

Gefunden habe ich aber eine Tatsache, die mich verstört hat: Es gibt in verschiedenen Ländern verschiedene Kammertöne!
nach zu lesen beim Musikverein Edelweiss

und ich dachte alle Musiker dieser Welt sind sich einig Rolleyes
so ganz klar wird auf der Seite nicht, ob es tatsächlich noch unterschiedlich ist - weiß jemand was darüber?

gruß sila


- gitwork - 06-03-2004

@cat+sila
hey, bei eurer Frage nach dem Warum hat man den Kammerton ausgerechnet auf diese und jene Frequenz festgelegt, mus ich erstmal passen ?(
Vielleicht schaffe ich es ja doch mal wieder das Haus zu verlassen, dann gehe ich in die Bibliothek und schlage es nach. (meine eigene Enzyklopädie habe ich in einer akuten Geldnotphase verkauft, bei diesem Thema könnte ich immer noch Asdf )

@levthan
schon, ja ich gebs zu ich habe Musik studiert. Schon ´ne Weile her von 1982-1988 auf der Musikhochschule Heidelberg/Mannheim. Seitdem verdien ich mein Geld als Gitarrenlehrer und Workshopleiter. Musikalisch hab ich seit dem Studium alles Mögliche gemacht von Solokonzerten über Theatermusik, Bands. Meine tiefste musikalische Wurzel ist aber die Rock-Pop-Folk Musik der 70er Jahre, die Musik die ich damals am Lagerfeuer gespielt habe. Das mache ich heute noch sehr sehr gerne. Ich mag den Enthusiasmus von Amateuren sehr gerne. Profis spielen oft nur noch auf Gigs, da kann man schon von Glück reden wenn man vorher ein, zwei Proben hinkriegt. Deshalb gefällt mir die Athmosphäre hier im Forum wohl so gut.

@sila
guter Link Musikverein Edelweiss Eek13 scheinen fundierte Infos zu sein. Ist mir ehrlich gesagt auch neu, dass es in verschiedenen Ländern immer noch unterschiedliche Kammertöne geben soll. Kann ich echt nichts zu sagen.
ihr seht: auch gitwork weiss nicht alles (bei weitem nicht alles) Wink

grüsse
gw


- HansK - 08-03-2004

zum kammerton: ich hatte mal gehört, der war früher gar nicht mal so festgelegt und wurde immer nach stimmung variiert. wenn die stimmung eher gedrückt war, war der ton eher tiefer, bei guter stimmung etwas höher. damals hatte man sich wohl auch noch nicht für ne frequenz interessiert. ich denke mal irgendwann wollte man dann eine frequenz festlegen und die 440Hz klingen ja ganz gut.... Rolleyes

bei unserm e-piano kann man übrigens die höhe des klaviers mit festlegen. wenn man also mit musikern spielt, die anders gestimmt sind sich quasi anpassen. hehe, unser klavier ist international !!! :-D


- sohoert - 08-03-2004

ich hab mal google nach standard pitch durchforstet und scheinbar ist 440hz mittlerweile doch international, Edelweiss drückt das ein bißchen doof aus.

@ hansK
scheinbar wurde nicht nur ganz früher je nach Stimmung gestimmt; interessant fand ich die Info, dass Karajan seine Musiker auf 444hz eingestimmt hat.
Es soll brillanter geklungen haben, aber auch weniger dynamisch und insgesamt glatter.

gruß sila


- Mjchael - 08-03-2004

Zum Kammerton könnte ich vielleicht was beitragen... Bin draufgestoßen, als wir für Ostern ein paar Gregorianische Choräle geprobt haben.

Der Kammerton hatte schon zu Gregorianischen Zeiten ca. 600 n.Chr. eine feste Bedeutung, geht aber noch viel weiter zurück. Wenn ich mich nicht irre sogar auf den schon von Gitwork erwähnten Pytagoras.

Das Phänomen liegt in der Eigenresonanz der Basiliken (große hallenartige Gebäude). Wenn ein Sprecher sich bemerkbar machen wollte, konnte er sich bemühen, dieses durch Lautstärke zu erreichen. Der bessere Redner (bzw. Sänger oder Herold) benutzte für seine Stimme genau die Frequenz, in der auch der Raum wiederhallte. (Der Badezimmereffekt!) Damit mußte der Sprecher nur ein Bruchteil der Lautstärke aufwenden, um trotzdem überall verstanden zu werden. Daher kommen übrigens auch die für uns komisch klingenden liturgischen Gesänge. Die sind in den Tönen gehalten, mit denen man nicht nur die ganze Halle beschallen kann, sondern noch den ganzen Marktplatz gleich mit.

Wenn ein Orchester in einer Kirche oder so spielt, dann ist der Kammerton A mit 440 Herz allerhöchstens ein grober Richtwert. Es könnte nämlich sein, dass bei einigen Kirchen gerade diese Frequenz ein Ton ist, der von den Mauern absorbiert und nicht reflektiert wird.

Bei der Johannes-Passion von Bach habe ich es erlebt, wie der Prof/Dirigent das ganze Orchester um einen halben Ton herunterstimmen ließ, um in der Frequenz der Kirche zu spielen.

Dann kann man wirklich von einem Kammerton sprechen. Also der Ton, bei der ein Raum am besten mitschwingt.

Die alten halbrunden Amphie-Theater brauchten wegen ihrer runden Form nicht drauf zu achten, da sie fast alle Töne gleich gut wiedergeben. Auch gute moderne Konzerthallen brauchen nicht mehr darauf zu achten. Da man für die keinen eigenen Kammerton hat, muß man sich Wohl oder Übel auf einen einigen. Wann man sich allerdings auf die 440 geeinigt hat weis ich nicht. Von einem Berufstrompeter habe ich nur erfahren, dass er mit der Zeit immer höher wird.
Ups, hat Sila grade eben geschrieben. :-D
--
Durchhalteparole aus michaels-gitarrenkurs :
\"Das sollst du nicht können, das sollst du lernen!\"


- sohoert - 08-03-2004

hey, das ist interessant! Thumbs Mjchael
man sollte den Architekten ne Stimmgabel geben Wink


sila


- sohoert - 08-03-2004

zum Wann:

Pariser Stimmung 1788 ........................... 409 Hz
Mozart Stimmung .................................... 421 Hz
Wiener und Berliner Stimmung 1850 ....... 442 Hz
Pariser Kommision 1858 und
intern. Stimmtonkonferenz 1885 ............. 435 Hz
Internationale Vereinbarung 1939 .......... 440 Hz

@ mjchael
er wird nicht immer höher, aber er schwankte

gruß sila


- Mjchael - 08-03-2004

@Sila,
\" den Architekten eine Stimmgabel mitgegeben\" :p *lachmichschlapp* Thumbs

Gott sei dank achten die meisten Architekten bautechnisch darauf, dass genügend Resonanzräume entstehen. Wie die das genau machen ist aber ehrer was für die Akkustiker.

Ein negativer Eeffekt von dieser Sache ist aber bei der Elektronik gegeben. Die Gebäude schallen manchmal so gut wieder, dass Mikrophone etc. Rückkoplungen haben, was dann als unangenehmer Pfeifton den Auftritt versauen kann. :-D
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Durchhalteparole aus michaels-gitarrenkurs :
\"Das sollst du nicht können, das sollst du lernen!\"


- sohoert - 08-03-2004

danke für die prompte Antwort, Mjchael. hatte mir durch ein bißchen Nachdenken die Frage dann selbst beantwortet und sie oben rauseditiert.
Damit allen die Antwort klar wird: die Frage war: warum moderne Konzertsäle keinen eigenen Kammerton haben.


- gitwork - 09-03-2004

@mijchael
schöner Beitrag, klingt sehr plausibel! Hatten die Oboisten bei der von dir erwähnten Johannespassion nicht Schwierigkeiten? Ich dachte die wären da nicht ganz so flexibel. Deshalb geben die ja auch den Stimmton im Orchester an.

@HansK
Die Notwendigkeit einen Kammerton festzulegen kommt daher dass die Instrumentenbauer sich international darauf einigen müssen, damit Orchester mit internationaler Besetzung problemlos zusammenspielen können.

Die Metal und Crunch Welt setzt da ja seit einiger Zeit eigene Akzente. Immer wenn ich meinen Schülern was raushöre bin ich ständig am hin und her schrauben. \"System of a dawn\" (geile band) stimmt die tiefe E-Saite oft eine kleine Terz tiefer auf C. Nirvana sowieso auf Es - das hat aber auch schon Jimmy Hendrix gemacht.

@sila
du bist ja fleissig am recherchieren
Respekt

grüsse

:_pirate:
gw