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Kirchentonarten für Dummies - Jemflower - 03-01-2025 So, nachdem ich aus einem älteren Thread zum Thema Kirchentonarten nicht so richtig schlau geworden bin - es blieben für mich immer Fragen offen – habe ich mir drei verschiedene Videos und einen längeren Artikel dazu angeschaut und dann dämmerte es mir endlich. Ich versuche meine Erkenntnisse hier einmal so zusammen zu fassen, damit auch Leute ohne musiktheorethisches Hintergrundwissen verstehen, was es damit auf sich hat. Das Hauptproblem für mich war die Namensgleichheit von Tonart und Kirchentonart. Erste wichtige Klarstellung: Die sogenannten Kirchentonarten (im Englischen „modes“ genannt) sind aber keine Tonarten in dem Sinne, wie man C-Dur, C#-Dur etc. verwendet. Es wäre besser von Kirchentonleitern zu sprechen. Geschichte: Im frühen Mittelalter, als sich das Christentum in weiten Teilen Europas etabliert hatte, begann die Geschichte der Kirchenmusik. Um zu gewährleisten, dass die liturgischen Kirchenlieder überall gleich klingen, begann man das notierte System zu entwickeln. Das ursprüngliche System der Mönche wurde Neumen genannt. Diese waren Anfangs noch ohne Linien und Takt, die erst später dazu kamen. Erst um 1600 herum schälte sich das notierte System, wie wir es kennen heraus. Warum gibt es jetzt Kreuze und Bs? Ganz einfach, weil diese Töne ursprünglich nicht verwendet wurden. Man musste in das System, das für 7 Töne erstellt wurde, irgendwie die zusätzlichen Töne c#/des – d#/es – f#/ges - g#/as – a#/b(Bb) unterbringen. Anstatt mehr Linien zu machen, wurden die Vorzeichen erfunden. Was hat das mit den Kirchentonarten zu tun? Ganz einfach, die Halbtöne (die als schwarze Tasten auf der Klaviatur zu sehen sind) gab es ursprünglich in der Kirchenmusik nicht, oder wenn, dann zufällig, weil ein Instrument falsch gestimmt war. Alle damaligen Instrumente hatten nicht wie unsere Gitarren und Klaviere 12 Töne, sondern nur 7. Die gab es übrigens schon bei den Griechen. Und bei denen gab vor allem Harfen, Leiern und Flöten als Melodieinstrumente. Diese stimmte man, so es genug Saiten waren, A B C D E F G und wenn noch mehr Saiten vorhanden waren wieder von vorne a b c d e f g. Flöten hatten damals, so wie Tinwhistles nur 6 Löcher, was 7 Töne plus 7 weitere durch überblasen ergibt. Das war also, als wenn man nur weiße Tasten auf dem Klavier hätte, bzw. die Bundstäbchen ähnlich wie bei einem Dulcimer verteilt wären. Solche Instrumente nennt man „diatonisch“. Auf diesen kann man nur in einer Tonart (in unserem heutigen Sinne) spielen. Am Anfang seiner Gitarrenkarriere erlebt man das auch. Man kann wunderbar viele gängige Lieder mit A D und E (also in A-Dur) oder D , G und A (also in D-Dur) begleiten, aber irgendwann wird es langweilig und man kann oft nicht jedes Lied in den zwei Tonarten singen. Abhilfe schafft entweder mehr Griffe zu lernen, oder ein Kapodaster. Experiment: Spielt einmal eine Akkordfolge oder eine Melodie, die ihr gut beherrscht und spielt sie dann noch einmal mit einem Kapodaster im dritten Bund. Plötzlich klingt das ganze irgendwie anders, obwohl eure Finger immer noch weitgehend dieselben Bewegungen ausführen. Erklärung: Das kommt daher, dass ihr die Tonart gewechselt habt. Gleich geblieben sind aber die Intervalle, die Abstände zwischen den Tönen und Akkorden. Diese Option hatten die Kirchenmusiker des Mittelalters (und die Musiker der Antike) ursprünglich nicht. Um etwas Abwechslung in die Musik zu bekommen, mussten sie sich anders behelfen. Wenn ihnen eine Melodie langweilig wurde, starteten sie sie einfach an einem anderen Ton des Instrumentes. Was dann passiert, kann man mit einem weiteren Experiment testen. Nehmt ein Keyboard oder ladet euch eine Keyboard-App auf das Handy und spielt „Alle meine Entchen“. Dann startet einfach einmal von d oder e aus und lauscht, was da passiert. Oh Schreck, die Melodie klingt jetzt plötzlich anders! Eure Bewegungen sind gleich geblieben, aber ein oder mehrere Intervalle sind jetzt anders, so dass die Melodie anders erklingt. In manchen Fällen wird sie fröhlicher dadurch, in anderen trauriger. Eine Variante, wenn man auf dem siebten Ton beginnt, klingt richtig unheimlich. Diese Varianten (die man eben aus den bereits geschilderten Gründen Kirchentonarten nennt) heißen: Ionisch startet beim C. Dorisch startet beim D. Phrygisch startet beim E. Lydisch startet beim F. Mixolydisch startet beim G. Äolisch startet beim A. Lokrisch startet beim H (damals auch im deutschsprachigen Raum noch B genannt). Das sind die ursprünglichen Kirchentonarten, die aber genau genommen immer im Tonraum der C-Dur Tonleiter bleiben. Das tut übrigens A-Moll auch. C-Dur ist nämlich = Ionisch und Moll = äolisch. Moll und Dur sind aus dieser Praxis der Variation übrig geblieben. Ab dem Hochmittelalter begann man Instrumente mit zusätzlichen Halbtönen zu bauen um mehrere Tonarten spielen zu können. Durch den erweiterten Tonumfang gab es nun mehr Möglichkeiten Musik zu variieren und die Kirchentonleitern gerieten aus dem Blickpunkt. Im frühen 20. Jahrhundert entdeckten Jazzmusiker diese für sich wieder. Allerdings konnte man jetzt auf jeden Ton einer jeden (Dur-)Tonart die Kirchentonleitern aufbauen. Wenn man heute eine der Kirchentonleitern verwendet, muss man die Tonart (in unserem heutigen Sinne) dazu nennen. Z.B. F-Dorisch oder f#-äolisch usw. Ein schönes Klangbeispiel um sich die Wirkung zu vergegenwärtigen ist unter https://youtu.be/Mk7nU5SpnLE?feature=shared zu finden. Was nützt dieses Wissen dem Lagerfeuergitarristen? Erst einmal wenig. Aber mit Steigerung der eigenen Fähigkeiten und der Weiterentwicklung des eigenen musikalischen Gehörs wird man ab und zu Hörerlebnisse haben, die sich mit Hilfe dieses Wissens erklären lassen. Musik ist irgendwie magisch, aber eben doch kein Hexenwerk. RE: Kirchentonarten für Dummies - werkata - 03-01-2025 Erstklassig erklärt! Die letzten Sätze sind die wichtigsten! RE: Kirchentonarten für Dummies - cat - 04-01-2025 (03-01-2025, 15:03)Jemflower schrieb: Auf einer heutigen Blockflöte geht mehr, weil durch das untere Loch, das man mit dem linken Daumen zuhält, die Halbtöne möglich sind. Einspruch! Das untere Loch für den Daumen dient dem Überblasen und hat nichts mit Halbtönen zu tun. Die Halbtöne werden durch andere Griffweise der restlichen Finger gebildet. Ansonsten interessanter Exkurs, danke! RE: Kirchentonarten für Dummies - Jemflower - 04-01-2025 OK, da hatte ich etwas falsch verstanden. Dann korrigiere ich das mal. Laut einer Tabelle, die ich gefunden habe braucht man das Daumenloch für d#. F#, g# und b habe ich auch mit halbgeöffnetem Daumenloch gesehen. RE: Kirchentonarten für Dummies - cat - 05-01-2025 Sprichst du von einer C oder F Flöte? Für die zwei tiefsten Halbtöne muss man mit dem kleinen Finger bzw. Ringfinger das halbe Loch bedecken (bzw. nur eines bei Doppellochbohrung, wie es die meisten barocken Flöten haben. Mit deutscher Griffweise kenne ich mich nicht aus) RE: Kirchentonarten für Dummies - Jemflower - 06-01-2025 Keine Ahnung, war ja offenbar falsch interpretiertes Halbwissen aufgrund von Grifftabellen, die ich irgendwo mal gesehen habe. Daher kam ja mein Irrtum. Aber gut wenn man korrigiert wird, dann lernt man was dazu. RE: Kirchentonarten für Dummies - FP - 06-01-2025 Guter Beitrag Jem. Die Kirchentonarten sind schon wichtig. Das geht natürlich noch weiter... Halbton/Ganzton, harmonisch Moll, Minor- und Major-Blues, Zigeuner Moll und und und... Spannendes Thema Aber um das nochmal etwas anders darzustellen... packen wir nochmal die Stufen Ganzton/Halbton mit rein, denn das ist die Essenz. Also jeweils der Abstand vom Grundton zum nächsten Ton (Am Beispiel des Grundtons C ![]() Ionisch startet beim C ... G G H G G G H --> C D E F G A H C Klingt nach Dur Dorisch startet beim D ... G H G G G H G --> C D Eb F G A B C Klingt Mollig Phrygisch startet beim E ... H G G G H G G --> C Db Eb F G Ab B C Klingt Mollig ... iwie nach Flamenco Lydisch startet beim F ... G G G H G G H --> C D E F# G A H C Klingt nach Dur Mixolydisch startet beim G ... G G H G G H G --> C D E F G A B C Klingt nach Dur ... Mixo gibbet oft im Irish und Scottish Folk Äolisch startet beim A ... G H G G H G G --> C D Eb F G Ab B C Reines Moll Lokrisch startet beim H ... H G G H G G G --> C Db Eb F Gb Ab B C Klingt nach Komisch ![]() Wer aufgepasst hat... die Stufen verschieben sich immer um eins von Oben nach unten... das sieht man ganz gut, wenn man das mal untereinander skizziert... G G H G G G H Ionisch G H G G G H G Dorisch H G G G H G G Phrygisch G G G H G G H Lydisch G G H G G H G Mixolydisch G H G G H G G Aeolisch H G G H G G G Lokrisch Man kann ja mal beim HFT darüber sprechen... Wer Fehler findet, kann sie behalten ![]() RE: Kirchentonarten für Dummies - Jemflower - 07-01-2025 Das finde ich jetzt verwirrend. Ich versuche es zu durchblicken. Dorisch startet beim D ... G H G G G H G --> C D Eb F G A B C <- Warum startest du dann hier beim C, wenn es doch bei D startet, wie du selbst schreibst? Und wo kommen das Eb und das B jetzt her? Offenbar wurde die Tonart nach B gewechselt. Ich übersetze das mal für mich: Dorisch startet (in C-Dur) beim D und hat dann die Intervallabfolge G H G G G H G Mit den Tönen der B-Dur Reihe wird daraus --> C D Eb F G A B C (daher das Eb uns das B!) Wenn man in B-Dur auf dem C startet, bekommt man eine dorische Tonleiter, nämlich C Dorisch. Dann ergibt der widersprüchliche Satz: Phrygisch startet beim E ... H G G G H G G erst Sinn, denn in der nächsten Reihe, kommt ja gar kein E vor! --> C Db Eb F G Ab B C Schlussfolgerung: Wenn ich in einer beliebigen Tonart auf einem Ton eine Tonleiter innerhalb der vorhandenen Töne starte, kann ich sie anhand der Intervalle einer der Kirchentonleitern zuordnen. Eine Kirchentonleiter ist eine Intervallabfolge, die sich auf jedem beliebigen Ton aufbauen lässt. In der notierten Darstellung verwendet man dann jede Menge Vorzeichen, obwohl man sich faktisch in einem anderen Tonraum befindet, jedenfalls sieht das in dem "Alle Vögel..." Video so aus. RE: Kirchentonarten für Dummies - FP - 08-01-2025 Du bist dem auf der Spur... gut. ABer nochmal ein praktisches Beispiel: Wir beginnen wieder mit dem Grunddton C ... ich hätte auch mit F oder G oder Eb beginnen können ![]() Beispiel... spiele mal auf ner Gitti ne einfache C Dur Tonleiter OHNE Leersaiten (ich vermerke auch den Ganzton/Halbtonschritt zum nächsten Ton): Code: C-Ionisch: Das ist C Dur... oder C Ionisch. Spielst du das jetzt z.B. alles einen ganzen Ton höher, dann hast du die D-Dur... oder D Ionisch Tonleiter. Na... klingelt es? Wenn wir das obige Beispiel ein wenig abändern, machen wir aus C Dur --> C Mixolydisch Code: C-Ionisch: D_Mixolydisch... alles einen Ganzton höher ... usw. RE: Kirchentonarten für Dummies - Daschi - 13-01-2025 @Jemflower: wow! Vielen Dank Gruß zum Montag ![]() RE: Kirchentonarten für Dummies - Jemflower - 13-01-2025 Für alle, die das einmal auf der Gitarre ausprobieren wollen, aber nicht nach Noten spielen können (in notierter Form kann man das im Internet finden), habe ich das als Tabulatur geschrieben: Es geht hier immer von C nach C. Im Gegensatz zu dem Experiment mit den weißen Tasten wechseln wir hier die Tonarten. Das ist deutlicher zu hören, als wenn man in einem Tonraum bleibt. G G H G G G H Ionisch ------------------------------------------------ -----------------------------------------0----1- -----------------------------0----2------------- -----------0----2----3-------------------------- ------3----------------------------------------- ------------------------------------------------ G H G G G H G Dorisch ------------------------------------------------ ----------------------------------------------1- -----------------------------0----2-----3------- -----------0----1----3-------------------------- ------3----------------------------------------- ------------------------------------------------ H G G G H G G Phrygisch ------------------------------------------------ ----------------------------------------------1- -----------------------------0----1-----3------- ----------------1----3-------------------------- ------3----4------------------------------------ ------------------------------------------------ G G G H G G H Lydisch ------------------------------------------------ ----------------------------------------------1- -----------------------------0----2-----4------- ------------0----2----4------------------------- ------3----------------------------------------- ------------------------------------------------ G G H G G H G Mixolydisch ------------------------------------------------ ----------------------------------------------1- -----------------------------0----2-----3------- ------------0----2----3------------------------- ------3----------------------------------------- ------------------------------------------------ G H G G H G G Aeolisch ------------------------------------------------ ----------------------------------------------1- -------------------------------0----1---3------- ------------0----1----3------------------------- ------3----------------------------------------- ------------------------------------------------ H G G H G G G Lokrisch ------------------------------------------------ ----------------------------------------------1- -------------------------------1----3----------- -------------1----3----4------------------------ ------3--4-------------------------------------- ------------------------------------------------ RE: Kirchentonarten für Dummies - FP - 14-01-2025 So isses |